Auf dem deutschsprachigen Markt gibt es, soweit ich es in Erfahrung bringen konnte, kein anderes generisches bzw. genreunabhängiges Pen&Paper-Rollenspiel-System als Savage Worlds. Wir haben von Prometheus Games ein Rezensionsexemplar der Gentleman’s Edition, Revised erhalten und verschiedene kurze Plots gespielt.
Das umfassenste generische System ist GURPS, aber da im Jahr 2000 sowohl der Verkauf als auch die Übersetzung in Deutschland eingestellt wurde ist Savage Worlds in dieser Hinsicht konkurrenzlos.
Warum überhaupt „generisch“?
Ein Großteil der Rollenspieler spielt in dem System und damit auch in der Welt die er mag. Andere Spieler möchten jedoch ab und zu in eine andere Welt eintauchen – also anstatt Orks über Steppen zu jagen, in der Matrix gegen eine künstliche K.I. kämpfen oder in einem Endzeit-Szenario gegen Untote angehen – ohne drei verschiedene Regelsysteme zu lernen.
Eine Gruppe kann beschließen auf welche Welt sie gerade Lust hat und wechselt einfach, denn die Grundregeln bleiben immer gleich. Es müssen nur die Zusatzregeln des Settings bedacht werden, für Luftschiffe oder Weltraumschlachten beispielsweise.
Das Buch an sich
Etwas kleiner als DIN-A4 misst die Gentleman’s Edition in Länge und Breite, bei einer Höhe von 2,2cm und einem Gewicht von etwas über 1kg. Es passt also in so ziemlich jede SpielerInnen Tasche. Die 352 Seiten sind alle vollfarbig gehalten – ich verstehe nicht wie andere Verlage so etwas wichtiges wie ein Rollenspielbuch in schwarzweiß drucken. Anders als ein Roman werden diese Bücher immer wieder aufgeschlagen und gelesen.
Thematisch ist das Buch ein Buch, eine Art Reisetagebuch mit (fiktiv) aufgeklebten Notizen, Hinweisen und Fotos. Auf dem Seitenrand sind die Kapitel farblich gekennzeichnet und können schnell aufgeschlagen werden, bisher habe ich immer kleine Haftzettel dafür verwendet, zusätzlich ist ein Leseband vorhanden.
Marke Eigenbau
Das System bietet nicht nur die Möglichkeit sich viel eigenes auszudenken, es fordert eine Gruppe geradezu auf dies zu tun. Ob neue Rassen, Fertigkeiten, Vor- und Nachteile oder ganze Welten – alles ist möglich. Wem seit langem eine eigene Welt im Kopf herumschwirrt, aber sich nicht um ein Regelwerk kümmern oder ein anderes kopieren wollte, kann sein eigenes Setting erschaffen. Auf der RPC 2012 gab es passend dazu einen Workshop indem vorgestellt wurde wie eigene Settings vermarktet werden können.
Lohnt eine Konvertierung?
Natürlich ist es möglich jedes beliebige System nach Savage Worlds zu konvertieren, diese Aufgabe sollte eine Gruppe zusammen übernehmen und nicht einfach dem Spielleiter aufdrücken, denn das ist je nach benötigtem Umfang ein ziemlich großer Haufen Arbeit. Aber danach kann die lang bereiste Fantasywelt ab und zu gegen ein anderes Setting gewechselt werden. Das können wie gesagt andere konvertierte Systeme sein oder auch direkt für Savage Worlds entwickelte Settings.
Aufgrund der Erfahrungen eines Freundes, dessen DSA-Gruppe testweise auf die SW-Regeln gewechselt hat, empfehle ich euch keine Konvertierung, sofern ihr nicht gedenkt das Setting zu wechseln. Sondern, wenn euch bestimmte Regeln nicht gefallen, einfach Hausregeln aufzustellen.
Charaktere basteln
Die Charaktererstellung geht sehr schnell von statten. Für unsere Proberunde brauchte ich pro Charakter 10-15 Minuten, da nur relativ wenig Werte eingetragen werden müssen. Die Charaktere waren zwar nicht liebevoll ausgearbeitet, aber das hätte auch nicht mehr Zeit gekostet. Hier liegt einer der Punkte bei dem eine Gruppe viel Arbeit in die Konvertierung stecken muss. Das Savage Worlds Grundregelwerk bietet zwar ein grundlegendes Spektrum an Vor- und Nachteilen, aber die typische Vielfalt wird nicht geboten. Das übernehmen die verschiedenen Settings oder halt die Spieler selbst.
„Ich schieße auf den Kapitän!“
Das Kampfsystem von Savage Worlds darf indes kontrovers betrachtet werden. Im Sinne des Spielmottos „Fast! Furious! Fun!„, ist es tatsächlich schnell, denn normale NSCs landen nach einem Treffer fast immer direkt im Staub und müssen nicht erst lange weichgeklopft werden. Die sogenannten Wildcards hingegen sind richtig schwer klein zu kriegen, in unserer Proberunde sind wir daran fast verzweifelt. Vielleicht haben wir auch nur irgendetwas falsch verstanden (^_^)
Über einen Kommentar dazu würden wir uns sehr freuen.
Würfel und Werte
Die Fähigkeiten eines Charakters werden nicht über Zahlen dargestellt, sondern direkt mit dem zu würfelnden Würfel, also: W4, W6, W8, usw.
Jeder Spieler verfügt über einen zusätzlichen W6, der sogn. Wildcard-Würfel. Bei den meisten Proben wird neben dem geforderten Würfel geworfen um dem Spieler permanent zu unterstützen.
Die Abenteuer
Für unsere Testrunde haben wir uns zwei der One-Shot-Abenteuer vorgenommen, wie die Kurzabenteuer in Savage Worlds heissen. Die Mission im Weltall verlief gut, doch der Auftrag im Theater endete abrupt. Das Ziel war herauszufinden was dort vor sich geht und als die Spieler dies in Erfahrung gebracht hatten sind sie zurück zum Auftraggeber. Ein logisches und nachvollziehbares Vorgehen, doch der ganze zweite Part der davon ausging das sich die Spieler der Bedrohung annehmen war für die Katz. In der Regel der Alltag eines Spielleiters, aber da mit dem Ende des Abenteuers auch der Abend endete war es ein bisschen Enttäuschend … egal, passiert halt mal.
Karten und Pokerchips
Wie auf dem Bild oben zu ist vewendeten wir zum spielen einen Satz Pokerkarten und -Chips. Die Karten ersetzen die sonst typischen Initiativewürfe um festzustellen welcher Charakter wann an der Reihe ist: jeder Spieler bekommt eine oder mit entsprechenden Fähigeiten zwei Karten, dann wird vom Ass runtergezählt und gehandelt. Für mich ist das eine kleine Innovation gegenüber dem permanenten Auswürfeln während eines Kampfes.
Wer das „Edge“ aus Shadowrun kennt weiß jetzt sofort was es mit den Pokerchips auf sich hat. Wenn nicht macht das natürlich nichts, denn es recht simpel: Die in Savage Worlds sog. „Bennies“ dienen den Spielern u.a. dazu verpatze Aktionen doch noch irgendwie zu retten oder im Kampf länger durchzuhalten, quasi das Schicksal selbst ein bisschen in der Hand zu halten.
Für beides ist natürlich nicht extra ein Pokerkoffer anzuschaffen: Gummibärchen gehen auch ;)
Aussicht: 2012 bis 2013
Für dieses und nächstes Jahr veröffentlichte Prometheus Games einen Ausblick auf ihrem Verlagsplan, der ziemlich gut gefüllt ist. Im Oktober erscheint zudem die Taschenbuch-Ausgabe, dazu schrieb zu Prometheus:
In Anlehnung an die beliebte Explorer’s Edition des englischen Savage Worlds, erscheint im Oktober 2012 die gedruckte Taschenausgabe der Gentleman’s Edition Revised für sagenhafte, sensationelle und einzigartige 9,95 Euro. Das PDF ist bereits jetzt vefügbar. Die Regeln und Optionalregeln der Hardcover- und der Taschenausgabe sind identisch (bis auf die Tatsache, dass die Taschenausgabe die Errata enthält). Der Unterschied liegt in der Optik und in den fehlenden Hintergrundtexten zu Settings, allgemeiner Spielleitung, etc.
Für Rollenspiel-Anfänger und (neue) Spielleiter zwar preislich interessant, aber an der falschen Stelle gespart. Wer lediglich konvertieren möchte oder ein alter Rollenspiel-Hase ist, darf bedenkenlos zugreifen.
Unser Fazit
Savage Worlds ist vor allem für zwei Gruppen interessant: Rollenspiel-Einsteiger die erstmal herausfinden wollen welche Art von Welt / Setting ihnen überhaupt gefällt und Spieler die öfter mal das Setting wechseln möchten. Ebenso werden kreative Menschen angesprochen sich eigene Welten oder zumindest neue Spielelemente auszudenken. Personen die ein dichtes und stabiles Netz aus Regeln brauchen um glücklich zu sein, sollten bei ihrem System bleiben und ihre Kreativität auf Hausregeln beschränken.